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Dienstag, 17. Dezember 2013

13. Poetry Slam in Reichelsheim; Flugbericht

Patrice und Nick statt Lady Chatterly
Während exakt 85 Jahre zuvor D. H. Lawrence nervös durch die Wälder des toskanisch-emilianischen Apennins flanierte, die sanften Hügel des Chianti im Rücken und das leise Rauschen des Arno sanft in den Ohren klingend, und hoffte, dass sein just an diesem Tage veröffentlichter Roman „Lady Chatterley's Lover“ ihm Erfolg bescheren möge, ließen die virtuosen Gitarrenklänge aus den gefühlvoll zupfenden Fingern Nick Ruths und die klare  Stimme Patrice Köbels die warme Luft im Bistro Cockpit, dem wohligen Rettungsort im ansonsten winterkalten Reichelsheim, zu atembarer Liebe werden, ganzgleich wie Lawrences Romanfiguren Connie und Clifford die Luft füreinander mit Leidenschaft entfachten. Der Roman sollte ein großer Erfolg werden. Gleiches wünschen wir uns für deren neue Good-Night-Monday-CD „Love, Liberty & Other Lies“. Freilich im Gegensatz nicht posthum.

Fiebert mit: Luise
Pünktlich um zwanzig Uhr drei räumten sie die kleine Bühne des gut gefüllten Cockpits für den Moderator des Abends, Andreas Arnold, der sich freute mit dem 13. Poetry Slam in Bistro nunmehr auch den zweiten vorweihnachtlichen Dichterwettstreit in der Historie der Veranstaltungsreihe präsentieren zu dürfen. Tatkräftig halfen die nicht nur aus der Wetterau, sondern selbst aus dem ansonsten so Poetry-Slam-verwöhnten Frankfurt am Main  angereisten Gäste beim Erklären der Regeln, beim Auszählen der Tischbewertung und dabei, dem Moderator drei skandalöse, jedoch nicht wenig charmant und überaus altruistisch übergangene Verfehlungen vorzuhalten – mehr dazu im Fortlauf dieses Textes. Dafür wurden sie mit Weihnachtsschokolade reichlich entlohnt bzw. zum Schweigen gebracht. Der erste Lohn kam bereits in Gestalt von Luise Frentzel aus Dortmund, die trotz Fiebers es sich dennoch nicht nehmen ließ, mit zwei Texten zu featuren. Sie brachte das von GNM gut vorgewärmte Publikum endgültig zum Kochen, was angesichts der Außentemperaturen tatsächlich bemerkenswert war.

Hatte bei Freundin nicht
viel zu lachen: Jonas
In der ersten Runde starteten sodann Jonas Deußer aus Friedberg, den Stammgästen des Cockpits bereits bekannt durch zwei musikalische Auftritte während der Poetry Slams No. 7 und 11, Samuel Kramer aus Offenbach und Alina Inserra aus Friedberg. Jonas startete mit von Sarkasmus und Ironie durchzogenen Tagebuchseiten über die letzten Tage mit seiner Freundin und die ersten Tage danach, gefolgt von Samuel, der über fünf Hüte lyrisch und fesselnd vortrug. Alina las einen Text nach Wunschvorgabe des Publikums, das Leserichtung, -geschwindigkeit und Reihenfolge der Worte durch Zwischenrufe selbst bestimmen durfte. Origineller konnte ein Vortrag kaum sein. Obgleich sie Zettel mit ebensolchen Anweisungen zuvor im Publikum verteilte hatte und sie selbst in ihrer Anmoderation bereits die Vermutung hegte, es könne sich um das disqualifizierende Verwenden von Requisiten gehandelt haben, konnte der Moderator Andreas Arnold eine Disqualifikation spielend verhindern, indem er – Skandal Nr. 1 - ca. 700 g Weihnachtsschokolade in bestechender Schnelligkeit im Publikum verteilte, das zwar gar nicht im Begriff war, nach Disqualifikation zu rufen, doch immerhin dadurch Schokolade hatte.

Mitfühlend schauend: Lukas
Die zweite Vorrunde eröffneten Lukas Kreutz aus Marburg, Mario Henn aus Mannheim und „Dichter Dran“ aus Frankfurt am Main. Lukas begeisterte mit Deklinationen des Verbes Fühlen. Seine trockene Art hierbei ließ jedenfalls kaum ein Auge trocken. Mario beschäftigte sich in bester polit-satirischer Manier mit Verallgemeinerungen und öffnete manch ein Auge, das Lukas zuvor tränenverklebt hatte, um festgefahrene Anschauungen von Einsicht infiltrieren zu lassen. „Dichter Dran“ versuchte sich an Improvisation, und der Versuch darf als voller Erfolg gewertet werden. Was für eine abwechslungsreiche, lustige und doch stimmige Geschichte sich spontan mit den Begriffen „lauwarm“, „Date“ und „Froschschenkel“ bilden ließ,  war schon beeindruckend. Die Tischbewertungen ergaben ausgeglichene Voti für die drei Künstler. Knapp setzte sich jedoch Mario Henn durch und zog als zweiter Kandidat ins Finale.

Bestechende Moderation: Arnold
Nachdem GNM uns eine musik-untermalte Pause geschenkt hatten, die sich viel zu kurz anfühlte, begann die dritte Vorrunde. Eröffnet von Thorsten Zeller aus Friedberg mit einem gesellschaftskritischen Spiegel, in dem allzu viele Familien vor dem Fernseher saßen, statt sich miteinander zu beschäftigen, folgte der Beitrag von Jonas Wagner-Heydecke aus Lißberg. Jonas gewährte Einblicke in seine Ausbildung bei der Justiz und wirkte dabei – und das meine ich absolut positiv und anerkennend – wie eine ganz eigenwillige Mischung aus Johann König und Pete Glocke, ohne dabei jedoch in Effekthascherei zu verfallen. Den Abschluss markierte Mary Grebner aus Bad Nauheim mit einem Reigen der Gegensätzlichkeiten um Kommen und Gehen, Denken und Verstehen. Der Moderator bat daraufhin versehentlich Jonas selbst um Assistenz bei der Auszählung der Stimmen. Jonas zog neben Thorsten ins Finale. Stimmen, die das merkwürdig fanden, konnten jedoch – Skandal Nr. 2 - erneut durch Schokolade zum Schweigen gebracht werden.

Ein Jonas: Jonas
Im Finale eröffnete Samuel, vom Moderator wiederholt als Jonas Kramer angekündigt – straffreie Vorbereitungshandlung zum 3. Skandal -  mit einem Text, in dem sich finstre feuchte Rachenräume thematisch mit gekonnten Wortspielen und begeisternden Aphorismen wechselten. Mario hielt ein Plädoyer für den Mut zur Langweiligkeit, das nicht nur die anwesenden Medienkommunikationsstudenten begeisterte. Thorsten hielt es weihnachtlich und erfüllte einen Stammgastwunsch. Sein „O Tannenbaum“, eine amüsante und herzliche Geschichte um die Suche nach dem perfekten Weihnachtsbaum, in der sich nicht nur die Familienmütter und –väter aus dem Publikum wiedererkannt haben dürften, erntete den verdienten Applaus. Jonas W.-H. endete das letzte Finale des Jahres mit einem Text über Diskriminierung und
Kein Jonas: Samuel
entlarvte das Pharisäertum seines Protagonisten auf nachdenklich stimmende Art. Der Moderator forderte daraufhin den finalen Applausentscheid für Thorsten, Mario und – Skandal Nr. 3 – zweimal für Jonas ein, da er Samuel erneut Jonas genannt hatte. Hierfür büßte er verdient den letzten Rest seiner Schokolade ein. Letztlich entschied Samuel, als er nicht mehr Jonas  gehießen wurde, das Finale klar für sich. Thorsten, der einzige tatsächlich finalverbliebene Jonas und Mario trugen sehr unterhaltsame und wohlfeile Texte ins Finale und ernteten guten, herzlichen Applaus eines zufriedenen und gut unterhaltenen Publikums, doch es traf eine eindeutige Entscheidung für den verdienten Sieg des amtierenden U20-Hessenmeisters im Poetry Slam aus Offenbach.

Siegertypen: Thorsten, Jonas,
Mario, Andy und Samuel
Obgleich der letzte Sieg des Jahres die Wetterau verließ, bin ich stolz, dass mit Thorsten und Jonas nicht nur zwei Wetterauer ins Finale gezogen waren, sondern auch zwei der Dichter aus dem vorangegangenenWorkshop, die noch zudem bereits einen Auftritt am Abend hinter sich hatten.
Auch im neuen Jahr wird es wieder zahlreiche Poetry-Slam-Veranstaltungen, Workshops und Einzelauftritte in der Wetterau geben. Bereits am 27. Januar darf es im Friedberger Junity „Slam Poetry zum Gedenken“ sein, eine Veranstaltung, die mit einfühlsamen Texten dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedenken wird. Näheres hierzu unter http://www.junity-friedberg.de. Und schon knapp drei Wochen später, am 15.02.2014, wird sich das Cockpit erneut mit einer Wohlfühlmischung aus handgemachter Musik und herrlichen Texten füllen. Mehr dazu wie immer hier im Blog und auf Facebook.

Mit den besten Wünschen für die Weihnachtszeit und das neue Jahr
Euer Poetry Slam Reichelsheim


PS Ich weise wahrheitshalber darauf hin, dass der Autor dieses Berichts und der Moderator der Veranstaltung ein und dieselbe Person sind, der Autor sich jedoch mehrheitlich befleißigte sich in der dritten Personen zu nennen, um nicht mit dem Skandaltriplett des Moderators in Verbindung gebracht zu werden.

PPS Am gleichen Tag verstarb Peter O’Toole, einer meiner Lieblingsschauspieler. Für mich unvergessen in „My Favorite Year“. Daher widme ich ihm das Schlusswort. Ruhe in Frieden, Peter.


RIP: Peter O`Toole
Bildquelle: http://theredlist.fr