Labels

Dienstag, 9. April 2013

9. Poetry Slam Reichelsheim; Flugbericht


Freitag, 05. April 2013, 19:00 Uhr - So viele Reservierungen wie noch nie; die ersten Besucher strömen unmittelbar nach Öffnung der Türen ein. 19:10 Uhr - die ersten Stühle müssen vom Raucherbereich in den Hauptraum getragen werden, da der Hauptraum voll ist. 19:20 Uhr – die 50 gedruckten Karten sind verkauft, Schweißperlen an der Kasse, denn die Schlange ist noch immer lang. 19:30 Uhr – Das Bistro verkündet, bis 23:00 Uhr niemanden mehr herein lassen zu können, da alles voll ist, und Gregor Jonas beginnt die Gitarre zu zupfen und eröffnet den folgenden sensationellen Abend voller grandioser Hörerlebnisse.

Als Überraschungsgast durfte unser Moderator Andreas Arnold zunächst die 12jährige Annalena ankündigen. Sie hatte am Poetry-Slam-Workshop, der von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr gleichen Tags im Rahmen der Ferienspiele stattgefunden hatte, teilgenommen und den Mut gefunden, ihren Text gleich auf einer Bühne zu präsentieren. Alle Achtung, das verdient Respekt, doch trug sie ihre schaurig-schöne Geschichte um den boshaften Mr. D. so versiert vor, dass keiner glauben mochte, es sei ihr erster Vortrag. Herrlich! So macht Slam-Poetry Spaß. Wir werden gewiss noch mehr von ihr und den anderen jungen Nachwuchsdichterinnen und –dichtern hören.

Den Wettbewerb eröffnete sodann, mit dem von Annalena hungrig gemachten Publikum vor sich – nennen wir es fortan die Wilden 75, denn auf diese Zahl kam ich beim Nachzählen -, der amtierende fränkische U20-Poetry-Slam-Meister Jonathan Baumgärtner. Sein Runners High ließ die Bilder in den Köpfen der Wilden 75 rennen und bildete die perfekte Vorlage für den folgenden Vortrag von Thorsten Zeller aus Friedberg, der mit seiner sonoren Stimme, den Diebstahl seines mindestens ebenso schnellen Fahrrads lyrisch beklagte. Es folgte Simon Felix Geiger, aus dem fernen Freiburg angereist, und erklärte, warum er so sei, wie er ist oder besser: Das Zwitschern „hier oben“. Die Stimmung war nun bereits am Siedepunkt, den „Müsli“ aus Ravensburg nutzte, um seine betretenen Fettnäpfchen inhaltlich schmelzen zu lassen. Eine fantastische Vorrunde, dessen eindeutigem Ergebnis zum Trotz, kein Beitrag sich vor dem anderen zu verstecken hatte. Doch Sieger konnte es nur einen geben, und das war eindeutig an diesem Abend Simon Felix Geiger.

Die zweite Vorrunde eröffnete Benedict Hegemann aus Marburg, der es schaffte einen romantischen verbalen Reigen von Geigen, Landstreichern und geplatzten Tauben tanzen zu lassen. Der Bonner Felix Bartsch gab daraufhin überraschende Einblicke in das Privatleben von Darth Vader, von denen kaum jemand im Publikum keine Bauchmuskelschmerzen vom Lachen davongetragen haben sollte. Als drittes trug René Scholz aus Frankfurt am Main vor, warum Liebe Sinn macht und schwang mit wundervoller Lyrik zurück zu ernsthaften Themen. Damit bereitete er den Weg für Dominique Macri aus Darmstadt, die gleichfalls thematisch ernsthaft und mit bewegender Authentizität über das „Bleiben Wollen“ dichtete. Die Wilden 75 waren begeistert. Begeistert und uneins. Gleichermaßen viele Tische standen am Ende der Auswertung bei Felix und Domi zu Buche. Auch hier galt: Nur einer konnte ins Finale kommen. Ein Applausentscheid noch vor dem Finale war die Lösung: Donner und Tosen für beide, doch 11 auf der Richterskala für Felix und 12 für Domi.

In der dritten Vorrunde, deren vorangegangene Pause durch einen erneuten Auftritt Gregors und eigenen sowie Songs von Disturbed und Konsorten akustisch versüßt wurde, startete Dominik Rinkart mit seinen Erlebnissen im Zug zur Game Convention. Gleich zu Beginn etwas zu lachen zu haben, tat gut, insbesondere, da dem Cockpit, ob es unerwarteten Andrangs obendrein hungriger Besucher, die Hamburger ausgegangen waren und daher die glücklich nicht verstorbenen Rinder fröhlich mitlachen konnten. Anschließend avancierte Jule Weber zur Abschlussballprinzessin, ohne den Abschluss der Vorrunde zu bilden, den bildete nämlich Markus Zinkl mit einem Jahresrückblick des Jahres 2012 und erklärte, weshalb sich keiner über den Inhalt von Pferdtigprodukten wundern solle. Gleichwohl auch diese Runde sehr hörenswerte Beiträge hatte, war das Ergebnis dennoch nahezu einstimmig: Jule Weber zog als Dritte ins Finale ein, wie es sich gehört für die U20-Meisterin der deutschsprachigen Meisterschaften 2012, aber das hatte ich ja vorher niemandem verraten.

Im Finale erklärte Simon Felix, weshalb und wie wir uns selbst ein Königreich sein können, gefolgt von Dominique, die Bordsteinschwalben unscharf vorüber gehen ließ und letztlich von Jule, die den Candyman Schauriges in der Phantasie des Publikums tun ließ. Unser Moderator ahnte bereits, dass es das Publikum schwer haben würde, sich zu entscheiden, und er behielt Recht. Dreimal donnerndes, trommelfellerschütterndes, raubtierartig grollendes Getose! Ein zweiter Sekundenapplausentscheid musste her. Er würde ein Ergebnis bringen und brachte es auch. Mit drei erneut gleichermaßen donnernden, trommelfellerschütternden, raubtierartig grollenden Getösen wurde die Wilde 75 ihrem Namen gerecht und hob alle drei verdient auf das Podest. Als Belohnung für die grandiosen Beiträge und die überzeugende Performance aller drei gab es nicht nur ein Cockpit-Shirt, und eine Einladung zum Open-Air-Saisonfinale am 3. August, sondern – und da mussten alle drei ihren Freudentränen mühsam zurück halten – je einen Doppelpack Sandwichtüten zur Zubereitung saftiger Sandwiches im handelsüblichen Toaster. Tja, so was gibt es nur beim Poetry Slam und auch nur beim Reichelsheimer Poetry Slam.


Doch bevor das Saisonfinale folgt, sehen wir, also die Wilden 75, unser Moderator, viele neue und einige bekannte Slammer, uns am 7. Juni zum nächsten Poetry Slam im Cockpit wieder, und wer bereits jetzt weiß, seinen Hunger nach Slam Poetry allein dadurch nicht stillen zu können: Am 15. Juni eröffnen wir die Kulturwoche im Alten Hallenbad in Friedberg mit einem Poetry Slam, moderiert von Elisa Scaramuzza und Andreas Arnold, mit Micha El-Goehre als Gast-Poet und zahlreichen wundervollen Slammern der letzten neun Slams im Cockpit im dichterischen Wettstreit miteinander. Karten gibt es bereits an allen bekannten Vorverkaufsstellen und im Internet.

Euer Poetry Slam Reichelsheim