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Dienstag, 14. Oktober 2014

18. Poetry Slam in Reichelsheim; Flugbericht

Julian Heun im Workshop
Der 18. Poetry Slam in Reichelsheim, die Eröffnung der 4. Slam-Saison im Herzen der Wetterau und ein Abend voller Superlative. Wenn das mal kein Grund ist, wieder einmal einen Flugbericht aus dem Cockpit zu verfassen. Wir starteten den Tag bereits mit einem Workshop in Leidhecken. Unterstützt von der Jugendpflege von Reichelsheim und Florstadt und gefördert vom lokalen Aktionsplan BUNTerLEBEN folgten 14 Dichterinnen und Dichter unserem Ruf und nahmen an einem sechsstündigen Poetry-Slam-Workshop mit Julian Heun und mir teil. Die erste Hälfte führte ich in die Verslehre ein, die zweite Hälfte optimierte Julian Texte und Performance für die Bühne. Wow, das war ein wirklich grandioser Tagesbeginn. Alle waren so gut dabei, dass noch nicht einmal eine Pause eingefordert wurde. Wir aßen lediglich zu Mittag, und ansonsten rackerten wir sechs Stunden durch. Die Zeit im Anschluss, bis wir ins Cockpit verlagerten, nutzten wir, um einige Beiträge auf Video aufnehmen zu lassen. Die Videos werden in der ARD-Mediathek zu sehen sein, wenn die Themenwoche „Toleranz“ vom 15. bis zum 21. November im Ersten und in den Dritten Kanälen läuft. Auch will Jörg Pfaffenroth, unser Jugendpfleger, sie als Vorprogramm zu einem Kinotag mit „Ziemlich beste Freunde“, der von der Jugendpflege angeboten wird, im Vorprogramm zeigen. Um 18:00 Uhr fuhren dann sechs der Workshop-Worker mit mir nach Reichelsheim, wo eineinhalb Stunden später der 18. Cockpit-Slam starten würde.


DENZ & WIMAR nebst Techniker 
Im Musikprogramm waren WIMAR, alias Simon Strunck, mit Gitarre und Gesang sowie Denzi, alias Gaudenz Bock, mit Percussion zu sehen und zu hören. Toller deutschsprachiger Singer-Songwriter-Stuff in stimmiger Kombination mit Cajon und Konsorten. Eine würdige Eröffnung unserer vierten Saison, für die ich sehr dankbar bin. Anschließend losten wir die erste Runde aus. Ulf Eisenkrämer aus Friedberg startete als Erster und wehrte sich erfolgreich als Metaper-Man gegen das Reimen. Im Anschluss kam Tami Fischer aus Darmstadt an die Reihe , überzeugte mit einem Text über Toleranz und textete gegen Oberflächlichkeiten und den Zwang „in“ zu sein. Den dritten
Starter gab Rangold aus Biblis und wurde mit Humor und Sarkasmus zum „No-Go“. Die letzte der ersten Vorrunde war Lea Klein aus Bad Nauheim, die Jung und Alt prosaisch gegenüberstellte. Das Publikum machte es sich nicht einfach. Erst die letzte Tischbewertung sicherte Ulf den eindeutigen
Rangold, lustig
Sieg gegen Rangold, den er letztlich um zwei Punkte schlug und auf einen sehr guten zweiten Platz verwies. Gleich drei Workshop-Teilnehmer waren in der ersten Runde, und es freut mich mit Ulf auch einen davon im Finale sehen zu dürfen (Rangold meldete sich jedoch im Anschluss schon für den Workshop im Dezember an, sodass es letztlich drei vergangene und ein zukünftiger Workshop-Teilnehmer waren, also ausschließlich Workshop-Teilnehmer). Die erste Runde wies auch gleich das erste Superlativ auf, denn mit Rangold betrat der 100ste Poet die Reichelsheimer Pilotenkanzel *trommelwirbel*

Tami Fischer fishing for points
Die zweite Runde eröffnete Florian Böhm, der nun schon das zweite Mal von München nach Reichelsheim gereist war, um im Cockpit aufzutreten. Flo wob Traumwelten aus Druckbuchstaben, denen Jonas Wagner-Heydecke aus Lißberg  thematisch im Anschluss ein Stückweit folgte, indem er die Traumwelten aus den Büchern zu realen Abenteuern werden ließ, für die er nicht einmal die warme Stube verlassen muss. Als Dritte startete Dichter Dran® mit einem gesellschaftskritischen Stück, das lyrisch anprangerte, dass die dritte Welt für Hungerlöhne ackern muss, damit die erste Welt verschwenderisch Modespleens nachgehen kann. Dann startete mit der 15-jährigen Maria Sailer aus Okarben die bislang jüngste Teilnehmerin, die je in unserem Line-up war. Sie trug einen Text über einen Jungen vor, zu dem das lyrische Ich kaum Zugang findet, weil er sich in Alkohol und Drogen verliert. Sie trug ihn so authentisch und sicher vor, dass das Publikum gar keine andere Entscheidung treffen konnte, als sie mit großem Jubel ins Finale zu schicken.

Lea Kleins zweiter Auftritt
Nachdem die Pause durch WIMAR, dieses Mal begleitet vom Rap-Gesang NOWLs, der eine halbe Stunde zuvor noch als Ulf Eisenkrämer in der ersten Runde brilliert hatte, musikalisch vergoldet worden war, ging der Wettbewerb in die dritte Vorrunde. Merlin Veit aus Darmstadt referierte über die Krone der Schöpfung, bevor die Teilnehmerin mit dem bislang längsten Anreiseweg (2. Superlativ), Adina Wilcke aus Wien, das stimmverstärkende Zepter übernahm und über Luftschlösser ohne Schubladen lyrisch, performant und energiegeladen abhandelte. Sein Debut hatte sodann Luca Dovni aus Friedberg, dessen Kurzreferat über GPS, den Genitalen PositionsSucher, ihn sicher nicht das letzte Mal auch den Weg ans Mikro finden lassen wird. Den Abschluss machte Mary Grebner aus Bad Nauheim, die an diesem Abend ihren 13. Auftritt in Reichelsheim haben sollte. Das vierte Superlativ des Abends. Wie hält man das nur aus? Mit großem Abstand konnte sich Adina den Vorrundensieg sichern, wenn auch sich alle gut geschlagen hatten. Immerhin war Adina im letzten Jahr Finalistin des Ö-Slams, der österreichischen Meisterschaft im Poetry Slam, zu dem ich ihr an dieser Stelle auch für dieses Jahr viel Erfolg wünsche.

Ulf, Maria, Adina und Andreas (strahlend)
Im Finale trug ULF einen Text vor, der seinen ersten Auftritt beleuchtete. Als Rapper mühte er sich lyrisch, die Rhymes zu bekämpfen, konnte sich jedoch drei Treffern der „Reim-Mannschaft“ nicht erwehren, was er unaufdringlich und gut platziert in seinem Text, gespickt mit viele Lacher provozierenden Fußball-Zitaten, kommentierte. Maria folgte mit Liebeslyrik, fern ab der bei so jungen Menschen manchmal vorzufindenden „Herz-Schmerz-Reim-Lyrik“, und sprach sich mit dem Wunsch, Rettungsring zu sein, in die Herzen der Zuschauer. Zuletzt brillierte Adina mit ihrem Märchen, das zu viel Wahrheit enthält, um wirklich Märchen zu sein. Wie schon das eine oder andere Mal geschehen, war der Applausentscheid im Anschluss des Finales alles andere als eindeutig. Selbst die zusätzlichen Ohren Ricos und Dominiks signalisierten deren Körpern nur, mit Schulterzucken ihre Unentschiedenheit zu signalisieren. Als auch der Sekundenapplaus nur rote Hände im Publikum, jedoch keine Entscheidung gebracht hatte, entschied sich der ebenso weise wie salomonische Moderator, also ich, zur Liebe-für-alle-Lösung und erklärte alle drei zu Siegern des Abends, die er sodann allesamt mit köstlicher veganer Schokolade herrlichster Ingredienzien entlohnte. Der 100ste Künstler, die jüngste, die weitgereisteste und am öftersten angetretene Künstlerin, wie soll man diese Veranstaltung der Superlative noch überbieten? Wir versuchen es dennoch, und zwar mit der nächsten Veranstaltung am 13. Dezember, wenn wir – wie jedes Jahr zum Jahresabschluss – Schokolade nicht nur unter den Gewinnern, sondern auch im Publikum verteilen. Wenn das nicht Super-schoko-lative Aussichten sind. Wir sehen uns.