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Mittwoch, 9. April 2014

15. Poetry Slam in Reichelsheim; Flugbericht

Lief nicht einmal im Hintergrund:
"Wetten dass...?"
Mein Gott, abends kam „Wetten dass…?“, und hätten die Zuschauer im Cockpit am 5. April gewusst, dass Lanz die Bombe platzen lassen und verkünden würde, dass die Show nach über 30 Jahren leider endlich eingestellt würde, wer weiß, ob überhaupt Gäste gekommen wären. Wer weiß, ob ich nicht mit einer Tüte frittierter Hahnenkämme vor dem Fernseher gesessen und bittere Tränen geweint hätte. Vermutlich schon vor der Verkündung. Wie schade, dass mir dieses Elend erspart geblieben war, den ich war im Cockpit. Und mit mir 11 Wortkünstler und Sprachakrobatinnen. Und natürlich gut 80 Besucherinnen und Besucher. Und es sollte einer der sensationellsten Reichelsheimer Poetry Slams werden. 

Könnte Straßenmusiker reich machen:
Sebastians Hut
Musikalisch eingestimmt wurden wir von Sebastian Barwinek, der uns ganz prächtig mit seiner unverkennbaren Stimme unterhielt. Deutsches, Bretonisches, Alt-Englisches, Irisches. Stücke aus fremder, aus eigener Feder. Und das alles auf der irischen Bouzouki. Ein Fest. Ein so eingestimmtes Publikum übernimmt man als Moderator gerne. Nach der obligatorischen Frage, wer schon einmal auf einem Poetry Slam war (Nein, ich werde nicht müde mit dieser Frage eine tief in jeden Slam Master eingeimpfte Neugierde zu befriedigen), stellte ich fest, dass ein Großteil nicht nur am Abend den ersten Slam in Reichelsheim erleben würde, sondern ganz und gar den ersten Poetry Slam überhaupt. Die Regeln waren schnell erklärt und schon konnte die Auslosung der ersten Vorrunde beginnen. Thorsten Zeller aus Friedberg, Mary Grebner aus Bad Nauheim und Nils Früchtenicht aus Kassel wurden die ersten Wortfechter, die gegeneinander um die Gunst des Publikums antreten durften.

Vor leerer Wertungstafel
und Finaleinzug: Nils
Thorsten, der beim letzten Slam vom Publikum vermisste wurde und das erste Mal für dieses Jahr wieder bei uns war, eröffnete den Slam mit einem gereimten sozialkritischen Text um vietnamesische Enten und zerbrochene Fensterscheiben. Mary Grebner aus Bad Nauheim folgte mit einem Gedicht über Freiheit, mit dem sie übrigens ihren 11. Auftritt im Cockpit hatte. Gefolgt von Thorsten, der an diesem Abend seinen siebten hatte, gibt es niemanden, der bislang so kontinuierlich und treu die Reichelsheimer Cockpit-Kanzel betrat. Dennoch reichten auch 18  Auftritte in Summe nicht, um dem Kasseler (Kassulaner? Kassuläner? Ich weiß nicht, hätte fragen sollen!) den Finaleinzug zu verwehren. Die meisten Tische stimmten über ihre Bewertungszettel für den emotionalen Glücksritter und in seine Mitbewohnerin Verliebten.

Referiert über die Worschd: Patrick
In der zweiten Vorrunde maßen sich Jonas Wagner-Heydecke aus Lißberg, Florian Böhm aus München, Dichter Dran aus Frankfurt am Main und Patrick Leonhard, ebenfalls aus Lißberg. Jonas nutzte das Mikro, um über das Web 2.0 und Handy-Apps herzuziehen, gefolgt von Florian, der über das Verlassen-Sein und Verlassen-Werden sprach. Den anschließenden Auftritt nutzte Dichter Dran, der man die Freude beim Improvisieren deutlich anmerkte, als sie nach vier zugerufenen Wörtern zu texten begann. Wer hätte gedacht, was man mit Schnitzeln, Orangen, Dieben und Kalligraphiestiftesets (mein Begriff, verzeihung!) bei einem Date so alles anfangen kann. Patrick endete die zweite Vorrunde mit Stand-up-Comedy auf hessisch. Zwar war die „Worschd“ ruckzuck warm, doch konnte der Lißberger nicht verhindern, dass mit Florian der erste Oberbayer in der vierjährigen Veranstaltungsgeschichte in das Reichelsheimer Dichterfinale einzog.

Vegetarisch: Vorne Nelken, hinten Korn
Nach der Pause, in der wie auch schon vor der Veranstaltung vortrefflich von Sebastian unterhalten wurde, trat das nächste Dichterquartett gegeneinander an: Tobias Rinker aus Nidda, Kaddi Cutz aus Dresden, Peter Müller aus Friedberg und Artur Nevsky aus Roßbach. Tobi berichtete von seinem Alltag, offenbar bestehend aus Korn und verliebten Ampelmännchen (An dieser Stelle bedanke ich mich für den Vergleich von Kaulquappen mit adipösen Spermien. Herrlich!) Kaddi trug einen Text über Erinnerungsmessitum (Erinnerungs-Messi-tum) vor, auswendig und hervorragend pointiert. Peter folgte mit wunderbaren Gedichten, die metrisch und inhaltlich zu begeisterten wussten. Auch die Textwahl um Küsse an verbotenen Stellen, Würmer und Kröten schmälerte das nicht, zumal Tobi ja bereits zuvor erklärt hatte, was Kaulquappen tatsächlich sind. Die Vorrunde schloss Artur mit einen sehr bewegenden Text über Vegetarismus und Mutter-Kind-Beziehungen, dessen Twist trotz Ankündigung überraschte und manch ein Auge geöffnet haben mag. Dennoch zog Kaddi mit Abstand als Dritte ins Finale ein, und nicht nur für die Erleuchtung über den einzigen Imperativ in italienischen Speisekarten („Penne mit Lachs in Sahnesoße“, danke auch dafür!)


Vegane Schoki macht glücklich:
Florian, Nils, Kaddi, Andy & Kühe
Im entscheidenden Vergleich drehten sich alle Texte, wie als sei zuvor eine Absprache erfolgt oder als habe Artur dazu nachhaltig inspiriert, um die Mutter-Kind-Beziehung. Auf sehr bewegende Art durch Nils, der vermeintliche Gegensätzlichkeiten elterlichen Seins auflöste und damit das erste Mal jemanden aus dem Publikum zum Weinen brachte (zumindest fiel es mir das erste Mal auf), in nachdenklich stimmender, doch von situationskomischen Momenten durchzogener Weise durch Florian, der den Vater als letztlich triumphierenden Volkszähler präsentierte, und als dritte mit viel Lachern und Sich-selbst-Wiedererkennens durch Kaddi, die mit aufdringlichen Müttern und nicht minder aufdringlichen Verehrern abrechnete. Mit verdienten Beifallsstürmen ernteten alle drei viel Anerkennung, doch den anhaltendsten Applaus und damit den höchsten Platz auf dem Siegertreppchen konnte Kaddi für sich verbuchen. Wie auch schon letztes Mal gab es köstliche vegane Schokolade, dieses Mal in „pur“, „Mandel“ und „Stracciatella mit Erdbeere“, sowie einen Bio-Prosecco von unserem Sponsor zu gewinnen. Ja, so stilvoll und nachhaltig kann man nur bei uns gewinnen.

Ich freue mich schon auf die nächsten Veranstaltungen: Die Erste offene Stadtmeisterschaft im PoetrySlam am 9. Mai im Theater Altes Hallenbad in Friedberg und den 16. Poetry Slam in Reichelsheim am 7. Juni 2014, der jedoch von Bene Hegemann moderiert werden wird, da unser geliebter Moderator (ich) bei Rock im Park head-bangt. Karten sind bereits erhältlich über reservix.de bzw. über den Ticket-Shop in Friedberg