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Samstag, 21. April 2012

3. Poetry Slam im Cockpit; Flugbericht


Der Moderator im Gespräch
Wieder ist ein wundervoller Poetry Slam in Reichelsheim zu Ende gegangen. Einer, der unter harten Bedingungen starten musste, denn er musste dem Fußball weichen. Ursprünglich war die dritte Veranstaltung der bei Groß und Klein beliebten Kleinkunstreihe für Dienstag geplant, und eben für diesen Tag hatten sich schon zahlreiche Poetinnen und Poeten angemeldet und viele Zuschauerinnen und Zuschauer in freudiger Erwartung angekündigt. Doch wir mussten dem Fußball weichen, schließlich ist das Cockpit in Reichelsheim nicht nur Kleinkunstbühne, Musiklokal und ein Mekka für hochwertige schottische Destillate und köstliches Fastfood, das durchaus auch langsam genossen werden kann, sondern eben auch Sports Bar. Wenn ausgerechnet Bayern München gegen Real Madrid spielt, kann ein Poetry Slam nicht punkten. Selbst wenn ich Nektarios Vlachopoulos, Patrick Salmen und Philipp Scharrenberg im Finale hätte bieten können, was wäre das schon gegen ein Champions League-Halbfinale mit einer solchen Paarung? So wurde es eben der erste Tag der Woche, der erste Arbeitstag nach den Osterferien und tragischerweise auch der 40. Todestag des Literaturnobelpreisträgers Yasunari Kawabata der zur magischen Drei unserer Fliegenden Wörter wurde.
Mario Henn mit zwei Händen voll Kabarett

Der Wettbewerb startete pünktlich um neun Minuten nach acht, weil es sich der Moderator Andreas Arnold, der aufgrund Erkrankung seiner wertvollen Comoderatorin Judith Rogalla, alleine durch den Abend führen durfte, es sich nehmen ließ, jeden einzelnen Gast nicht nur persönlich zu begrüßen, sondern auch mit jeder und jedem der Zuschauer ein paar Worte zu wechseln. Bei welchem Slam gibt es sowas heute noch? Nachdem die erste Vorrunde vom Publikum mit viel Spannung ausgelost wurde, startete Elisa Scaramuzza, die fantastische Moderatorin unseres Poetry Slams im Friedberger Bistro Pastis, mit wundervoll lyrischen Fragmenten ihres literarischen Schaffens. Im Anschluss bekam Mario Henn, der den weiten Weg aus Mannheim auf sich genommen hatte, um sich in Reichelsheim vorzustellen, das Mikrofon gereicht und überraschte mit gut pointiertem politischen Kabarett. Den letzten Platz der Vorrunde füllte das Team „Tsoik“ aus, das sich aus Jule Weber aus Heppenheim und Dennis Krause aus Viernheim, der uns bereits im Einzel bei unserer Premiere im letzten Jahr beehrt hatte, zusammensetzt. Die anschließend wie immer über Tischbewertungen durchgeführte Entscheidung, wer ins Finale kommen sollte, fiel mit einer knappen Mehrheit von zwei Tischen auf Tsoik, die mit ihrem Beitrag über die Arten der Lyrik – von Fußballlyrik bis zur Hochlyrik –, denen man auf Poetry Slam Bühnen begegnen kann, offensichtlich an einem durch den Fußball verlegten Abend eine Balllänge Vorsprung  für sich gewinnen konnten.

Yannick liest aus seinem Buch, das es auch zu kaufen gibt
Die zweite Vorrunde begann Schunke III, der eloquente Moderator des PoetryKUS in Kusel und des reSlam the Q-Kaff in Mainz, mit einem Text über seine Ex-Freundin, die ihm allerlei zufügen durfte, während er uns allerlei schadenfreudige Lacher damit bescherte, und leitete so charmant ein. Den Nächsten machte Yannick aus Karben, der kurzfristig eingesprungen war und so den Fußball-Verdrängungsverlust an Poeten ein weiteres Stück minderte, mit „was Depressives“. Danach folgte Mary Grettner aus Bad Nauheim, die auch schon im Februar bei uns war, und präsentierte drei sehr schöne und stilistisch wie thematisch unterschiedliche Gedichte: „Durch den Zauberwald“, „Der Wind“ und „Reinigung“. Der letzte Kandidat der zweiten Vorrunde war Dominik Rinkardt, ebenfalls aus Karben. Auch Dominik war bereits im Februar im Cockpit. Er widmete sich dem Thema „Wer nichts macht, macht keine Fehler. Und wer keine Fehler macht, der wird befördert“. Im Anschluss durfte das Publikum erneut seine Stifte anfeuchten und sich an die Bewertung machen. Mit Abstand gewann Schunke die meisten Tische für sich, vielleicht gerade weil er so schön von versierten „Heavy Metal“-Rufen begleitet wieder in seinen Text fand, als er hing. Das gibt auch erfahrenen Bühnenpoeten einen sympatisch-menschlichen Anstrich, und wer wünscht sich nicht einen sympatisch angestrichen Menschen ins Finale?

Lukas in Front von Marys Basecap
Die dritte Vorrunde startete Lukas Braunroth aus Karben, der Organisator und Moderator des noch jungen KSK-Slams in Karben, mit einer poetischen Auseinandersetzung mit der Frage: „Warum in die Ferne schweifen, wenn man auch fernsehen kann?“. Mitgebracht aus Karben hatte er Martin Roggenbuck, der seinerseits den Text „Aktionismus ist zu einfach gemacht“ mitgebracht hatte und ihn im Anschluss an Lukas ins kollektive Publikumsohr träufelte. Den Abschluss der Vorrunde bestritt Berenike Klepper aus Mainz mit einem Text über das Vergessen, den das Publikum jedoch bei seiner Bewertung nicht vergaß. Berenike zog als Dritte ins Finale ein.

Schunke III, auf die Bahn und ihre Romantik wartend
Im Finale warfen sich Tsoik in ihrem Beitrag „Pärchen sind widerlich“ gegenseitig allerlei widerliche Kosenamen an den Kopf, von denen sich unser wundervoller Moderator viele gemerkt hatte und erfolgreich an seiner Liebsten testete; jedenfalls wenn Handgreiflichkeiten und Partnergewalt gegen Männer als Erfolg zu werten ist. Schunke III ließ es sich nicht nehmen, auch vom Team-Text-Erfolg profitieren zu wollen, und präsentierte einen Team-Text, den er für gewöhnlich zusammen mit AIDA, den alle noch gut vom November im Cockpit in Erinnerung hatten, vorträgt. Da sich das Publikum AIDA neben Schunke gut vorstellen konnte und das auch tat, funktionierte das prima und kam sehr gut an. Berenike folgte als letzte Kontestantin (ich weiß, das Wort gibt es nicht, doch ich setze mich dafür ein, das es dieses Wort künftig – Ziel: bis 2025 – in den Duden schafft) und entlarvte sich als Baumkuschlerin, nachdem sie ihren Text „Innerer Monolog eines Baumes“ mit viel Energie ins Publikum entladen hatte.

Sekt und Schokolade - Nichts macht glücklicher
Der abschließende Applausentscheid wies keine merklichen Unterschiede auf, und da ich dieses Mal aus unterschiedlichen Gründen weder eine Comoderatorin, noch einen Stoppuhrdrücker, geschweige denn eine Fotografin oder eine Protokollantin hatte, die mir hätten ihr Ohr leihen können, rang ich mich zu einer salomonischen Entscheidung durch: Ich kürte alle drei bzw. vier Finalisten, da ja ein Team dabei war, zu Siegern des Abends. Letztlich gab es ja Sekt, Schokolade, ein schickes Cockpit-Shirt sowie eine Einladung zu unserem Grandslam im August für alle Finalistinnen und Finalsten gleichermaßen, warum also so viel Aufhebens darum machen, dass der Sekt für den ersten einen Euro teurer war und der Schokoladen-Osterhase größere Ohren hatte. Ich mischte sie einfach, um es auszugleichen. Salomonisch, alexandrinisch geradezu.

Es war ein herrlicher Abend. Mit Freude erwarten wir den fünften Juni, wenn es weiter geht mit den Fliegenden Wörtern in Reichelsheim. In der Wetterau gibt es bis dahin noch den KSK-Slam in Karben am 27. April und „Poetry im Pastis“ am 11. Mai, weshalb keiner ein langes Gesicht machen muss. Gehabt euch wohl. Auf bald.

Viele Grüße
 Euer Poetry Slam Reichelsheim

PS Für die Perspektivwechsel entschuldige ich mich. Natürlich sind Autor und Moderator die gleiche Person :D
PPS Dank an unsere Gäste Karin und Markus, ohne die ich gar keine Fotos gehabt hätte